Auch Ebola eine potenzielle biologische Waffe  

 

  Hämorrhagische Fieber mit tödlicher Wirkung  

 


Hämorrhagische Fieber sind hochgefährliche Viruskrankheiten, die sich rasch verbreiten und oft zum Tode führen. Bekannt sind zum Beispiel das Ebola- und das Marburg- Virus. Besonders die Sowjets haben in ihrem geheimen B-Waffen-Programm mit diesen Krankheitserregern experimentiert; auch der Irak hat sich dafür interessiert.

 


hfl. Das Drehbuch war simpel: Ein unbekannter Krankheitserreger wurde durch importierte Versuchstiere in die USA eingeschleppt. Eines dieser Tiere wurde gestohlen, der Dieb steckte erst sich und dann andere Menschen an. Einige der Angesteckten flogen quer über den Kontinent und induzierten in einer amerikanischen Kleinstadt eine durch ein hämorrhagisches Fieber- Virus verursachte Epidemie. Da alle Eindämmungsmassnahmen misslangen, wollte das Militär bereits zur Ultima Ratio, der Auslöschung der gesamten Bevölkerung durch eine spezielle Bombe, greifen, als den heroischen Ärzten im Film die Entwicklung eines schützenden Serums gelang.

 

  Hollywoodfilm mit realem Hintergrund  

 

Der Hollywoodstreifen «Outbreak» war allerdings mehr als einer der üblichen Kassenschlager vom Genre der Katastrophenfilme. Er bezog seinen besonderen Thrill aus der Tatsache, dass nahezu gleichzeitig mit der Auslieferung der Kopien an die Kinos die bis dato grösste Ebola- Epidemie in der Stadt Kikwit, im damaligen Zaire, ihren Lauf nahm und dank der medialen Präsenz die westliche Welt vorübergehend in Atem hielt. Innerhalb von sechs Wochen starben, gewissermassen unter den Augen der Weltöffentlichkeit, 244 Menschen einen grauenvollen Tod.

Dass Krankheitserreger wie das Ebola-Virus einmal als B-Waffen eingesetzt werden könnten, überstieg damals allerdings das Vorstellungsvermögen von Hollywood. Erst die Anschläge mit Bacillus anthracis in den USA haben auch dem Laien vermittelt, was in Expertenkreisen schon lange vermutet wird, dass nämlich nicht nur altbekannte Erreger wie Pocken, Pest und Botulinus-Bazillen, sondern auch die gefährlichsten aller viralen Krankheitserreger, die Viren von sogenannten hämorrhagischen Fiebern, in falsche Hände gelangt sein könnten. Ein «Outbreak» à la Hollywood würde damit zu einer ernst zu nehmenden Bedrohung.

Die hämorrhagischen Fieber sind eine heterogene Gruppe von Krankheitserregern, mit der sich in Europa nur wenige Virologen auskennen. Weniger als ein Dutzend Forschungsinstitute sind hier überhaupt in der Lage, mit diesen Erregern zu arbeiten, da dafür der höchste Sicherheitsstandard, ein sogenanntes P4-Labor, unerlässlich ist. Das in Argentinien, Bolivien, Brasilien und Venezuela verbreitete hämorrhagische Fieber zum Beispiel wird durch Arena-Viren verursacht (benannt nach ihrer sandkornartigen Form). Ähnlich wie beim verwandten, nur in Westafrika vorkommenden Lassa-Virus erfolgt die Infektion über die Atemwege. Die Viren finden sich in den Exkrementen diverser Nagetiere und werden in Form von Aerosolen in der Luft verteilt.

Charakteristisch für die Familie der Bunya- Viren wiederum, zu der so exotische Erreger wie das Virus des Krim-Kongo-hämorrhagischen Fiebers und das Rift-Valley-Fieber-Virus zählen, ist, dass sie in der Regel nur durch sogenannte biologische Vektoren, diverse Arten von Stechmücken und Zecken, übertragen werden. Gleiches gilt für die Flavi-Viren, deren wichtigste Vertreter das Gelbfieber- und das Dengue-Virus sind. Zahlenmässig von geringster Bedeutung, wenn auch am bekanntesten, sind das Ebola- und das Marburg- Virus, die die Familie der Filo-Viren bilden.

Alle Hämorrhagische-Fieber-Viren (HFV) gelten als potenzielle B-Waffen, weil man sie in einer Gewebekultur anzüchten kann, die Erreger hoch infektiös sind und die Krankheiten häufig tödlich verlaufen (beim Ebola- und beim Marburg-Virus in zirka 75 Prozent der Fälle). Mit Ausnahme des Dengue-Virus liess sich durch Laborexperimente zudem zeigen, dass alle HFV in Form von Aerosolen vom Körper aufgenommen werden, auch wenn dies bei natürlicherweise aufgetretenen Infektionen nie beobachtet wurde. Etwas aus der Reihe tanzen allerdings die Erreger der venezolanischen Pferdegehirnentzündung, einer Erkrankung, die nicht nur in Süd- und Mittelamerika, sondern auch in Florida beim Menschen vorkommt und häufig zu irreparablen Schäden im Gehirn des Erkrankten führt. Da bereits zehn Viren – eine Menge, die man selbst mit den modernsten Labormethoden kaum nachweisen kann – ausreichen, um eine Gehirnentzündung auszulösen, gelten auch sie als potenzielle B-Waffen, selbst wenn bisher eine Übertragung durch Aerosole nicht gelungen ist.

 

  Sowjetische Experimente  

 

Die Informationen über das geheime sowjetische B-Waffen-Programm, die nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Systems bekannt wurden, zeigten, dass hinter dem Eisernen Vorhang auch der Einsatz von HFV vorangetrieben worden war. Offensichtlich hatten sich die russischen Militärs das Marburg-Virus als besonders gefährlichen Kandidaten für ihre perfiden Zwecke ausgesucht. Die Pläne sahen vor, im Falle einer kriegerischen Auseinandersetzung mit dem Westen das Marburg-Virus – zusammen mit Anthraxsporen – mittels ballistischer Waffen jenseits der Front als Aerosol freizusetzen. Die Erreger der Hasenpest (Tularämie) und der venezolanischen Pferdegehirnentzündung dagegen waren für den direkten Einsatz im Kampfgebiet vorgesehen, vermutlich weil man glaubte, die eigenen Truppen mit einem Impfstoff schützen zu können.

Auch der Irak hatte laut dem Mitte der neunziger Jahre geflohenen Schwiegersohn Saddams, Hussein Kamal, derartige Viren in seinem Waffenarsenal. Um welche Viren es sich dabei gehandelt hat und was mit den Vorräten passiert ist, haben die Uno-Inspektoren allerdings nicht herausfinden können. Und selbst die von B-Waffen- Experten eher als mikrobiologische Laien eingestuften «Laboranten» der Aum-Shinrikyo- Sekte haben nicht allein mit Clostridium botulinum und dem Erreger des Q-Fiebers, dem Bakterium Coxiella burnetii, sondern auch mit dem Ebola- Virus experimentiert. Glücklicherweise limitierten technische Probleme und mangelndes Know-how der Fanatiker die Produktion dieses Filo- Virus.

 

  Zwei Verbreitungsarten denkbar  

 

Terroristen dürften vor allem zwei Arten, die Viren zu verbreiten, in Erwägung ziehen: als Aerosol zur Verbreitung in einer grösseren Menschenansammlung oder – was technisch eher schwierig sein dürfte – die Weitergabe über Körpersekrete, indem ein bewusst infizierter Terrorist möglichst viele andere Menschen ansteckt; von der Tränenflüssigkeit bis hin zum Sperma enthalten nämlich meist alle Körperflüssigkeiten die entsprechenden Viren. Da von der Infektion bis zum Ausbruch der Erkrankung, je nach Art des Erregers, einige Tage bis Wochen vergehen, die betreffende Person in dieser Zeit jedoch bereits für andere Menschen infektiös ist, wäre ein solcher Terrorist im wahrsten Sinn des Wortes eine wandelnde biologische Zeitbombe. Er könnte den Erreger in einem oder mehreren Ländern verbreiten – wenn er in ein Flugzeug stiege, sogar auf mehreren Kontinenten.

Auf welchem Weg auch immer Hämorrhagische-Fieber-Viren als Waffe eingesetzt werden, es wird eine Zeit dauern, bis das gehäufte Auftreten ungewöhnlicher Krankheitsfälle, in der Terminologie der Infektionsmedizin eine Epidemie, bemerkt wird. Weitere wertvolle Zeit wird verstreichen, bis geeignete Gegenmassnahmen ergriffen werden. Da inzwischen der Erreger ungebremst von infizierten auf gesunde Personen übertragen wird, sind eine rasche Erkennung und ein funktionierendes Meldesystem essenziell, um eine katastrophale Ausbreitung zu verhindern.

Der Direktor des Center for Civilian Biodefense Studies der Medizinischen Hochschule für öffentliche Gesundheit der Johns-Hopkins- Universität in Baltimore, Donald A. Henderson, betonte vor kurzem in einer Anhörung vor dem amerikanischen Kongress jedoch, dass die Ärzte der USA meist nicht in der Lage seien, exotische Viruskrankheiten rasch und zuverlässig zu diagnostizieren. Auch wüssten Spitalärzte häufig nicht, wer bei einem Verdacht auf eine «Seuchenlage» ihre Ansprechpartner im öffentlichen Gesundheitswesen seien, und es mangle an Fachkompetenz bei den Gesundheitsbehörden der Landkreise, Städte und Gliedstaaten, um eine bedrohliche Situation rechtzeitig in den Griff zu bekommen. Und die Krankenhäuser der USA – auf Grund immer rigiderer Sparmassnahmen – seien überhaupt nicht in der Lage, die medizinische Versorgung von Patienten mit einem viralen hämorrhagischen Fieber nach einem terroristischen Anschlag mit B-Waffen zu gewährleisten.

 

  Mangelnde Ausrüstung mancher Spitäler  

 

Bereits ein Dutzend hoch ansteckender Patienten würden laut Henderson zu einem medizinischen Chaos führen, da zum Beispiel im gesamten Grossraum Baltimore - Washington nicht genügend Betten in Unterdruckzimmern zur Verfügung stünden, wie sie zur Reduktion der Weiterverbreitung nötig sind. Es ist wahrscheinlich, dass die von Henderson skizzierten medizinischen Infrastrukturprobleme bei einem entsprechenden terroristischen Anschlag mit biologischem Kampfstoff auch in vielen Staaten Europas in ähnlicher Weise vorhanden wären.

 

  Waffen der Zukunft?  

 

Zwar beurteilen viele Experten zurzeit die Gefahr einer terroristischen Freisetzung von Hämorrhagische-Fieber-Viren im Vergleich zum Einsatz anderer B-Waffen als eher gering. Insbesondere weil die technischen Schwierigkeiten beim Umgang mit solchen Erregern wesentlich grösser sind als beispielsweise bei Anthraxsporen. Langfristig dürfte dieses Risiko jedoch ansteigen. Bereits heute sind von einem Dutzend wichtiger Krankheitserreger komplette genetische «Karten» vorhanden. Aus ihnen können Experten ablesen, über welche Rezeptoren beispielsweise ein Virus in eine Körperzelle eindringt oder was die krankheitsauslösenden Waffen eines Erregers sind. Diese – über Fachzeitschriften und Internet frei zugänglichen – Erkenntnisse können genutzt werden, um Mikroorganismen zu «konstruieren», die gefährlicher sind als alles, was im Laufe der Evolution entstanden ist.

Professor Jens Reich vom renommierten Max- Delbrück-Zentrum in Berlin umriss kürzlich seine persönliche Schreckensvision so: Von Terrorgruppen könnte ein Virus entworfen werden, das sich über Tröpfcheninfektion schnell verbreitet, in Zellen des Nervensystems eindringt, sich dort eine Weile still verhält und dann eine tödliche Krankheit auslöst. Die Auswirkungen einer solchen B-Waffe mit Latenzzeit wären noch schrecklicher als das für Affen gefährliche Ebola-Reston- Virus, das dem Drehbuchautor des Hollywoodthrillers «Outbreak» die zündende Idee gab.

 

NZZ, 9. Januar 2002

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