Anthrax – eine alte Kulturkrankheit  

 

  Verschiedene Formen und Erregerstämme  

 

Milzbrand ist eine alte Kulturkrankheit, die vor allem in landwirtschaftlichen Kulturen regelmässig zu Erkrankungen führt. Wird sie frühzeitig entdeckt, kann sie mit gängigen Antibiotika erfolgreich therapiert werden. Vor allem der Lungenmilzbrand verläuft jedoch meist tödlich, weil die Symptome lange unspezifisch sind.

 


bwe./bt. Seit über einer Woche beunruhigen Fälle von Milzbranderkrankungen und terroristischen Briefen mit Milzbrandsporen die westliche Welt. Milzbrand ist jedoch keineswegs eine neue Krankheit. Laut Fachbüchern wird Milzbrand bereits in der Genesis als fünfte biblische Plage erwähnt. Im 17. Jahrhundert gab es eine grossflächige Epidemie, die in die Geschichte einging. Zahlreiche Menschen und Tiere sollen ihr zum Opfer gefallen sein. Zu Anthrax-Epidemien kam es aber auch im letzten Jahrhundert in verschiedensten Regionen, vor allem in Afrika, im Nahen und Mittleren Osten und in Zentral- und Südasien immer wieder. Bereits seit über 80 Jahren interessiert sich auch die militärische Forschung für Anthrax-Sporen, und man geht davon aus, dass zahlreiche Länder über Anthrax-Sporen in ihren Waffenarsenalen verfügen. Noch nie kam es jedoch zu einer grossen Freisetzung mit katastrophalen Folgen für Menschen.

 

  Weltweit verbreiteter Bazillus  

 

Bacillus anthracis ist ein weltweit im Boden vorkommendes Bakterium, das in Form von Sporen viele Jahrzehnte auch unter widrigen Umständen überlebt. Vor allem Gras fressende Tiere, die diese Sporen aufnehmen, können an Milzbrand erkranken und die Erreger auf den Menschen übertragen. Gefährdet sind im Normalfall vor allem Personen, die in der Landwirtschaft, in der Fleischverarbeitung und bei der Fell- und Wollproduktion tätig sind. Nicht alle Personen scheinen jedoch gleich anfällig zu sein. So listet zum Beispiel die Weltgesundheitsorganisation (WHO) für eine 13 Jahre dauernde Zeitspanne Anfang des letzten Jahrhunderts in gefährdeten englischen Industrien 354 Fälle auf. Exponiert waren in diesen Fabriken laut WHO jedoch viele Tausende von Arbeitnehmern.

Beim Menschen werden drei Formen von Milzbranderkrankungen unterschieden. Am harmlosesten und häufigsten ist der Hautmilzbrand. Er entsteht, wenn die Sporen über eine Verletzung der Haut in den Körper gelangen. Der Erreger beginnt sich im menschlichen Gewebe zu vermehren und verschiedene Toxine zu bilden. Die Haut schwillt an, und es entstehen schwärzliche Geschwüre, die der Krankheit auch ihren lateinischen Namen, Anthrax, gegeben haben. Bei frühzeitiger Behandlung mit dem richtigen Antibiotikum verläuft der Hautmilzbrand nur selten tödlich. Selbst ohne Behandlung überleben viele Patienten.

Wesentlich gefährlicher ist es, wenn die Sporen im Magen-Darm-Trakt zu einer Erkrankung führen. Dies kann durch die Aufnahme von kontaminierten tierischen Nahrungsmitteln geschehen. Es können sich Geschwüre im Mund, in der Speiseröhre oder in bestimmten Darmabschnitten bilden. Da die Symptome unspezifisch sind – Übelkeit, Erbrechen, blutige Durchfälle und Bauchschmerzen –, wird die Krankheit oft nicht sofort erkannt. Die folgende Blutvergiftung führt daher in vielen Fällen rasch zum Tod. Darmmilzbrand ist jedoch äusserst selten. Er wird vor allem aus Regionen mit Nahrungsknappheit beschrieben, in denen die Bevölkerung Produkte von an Anthrax verendeten Tieren gegessen haben.

Am häufigsten zum Tode führt schliesslich der Lungenmilzbrand. Eingeatmete Sporen werden von den Fresszellen des Immunsystems in die lokalen Lymphknoten transportiert, wo sie sich auch noch nach Wochen zu vermehrungsfähigen und Toxin produzierenden Bakterien entwickeln können. Hat die Toxin-Menge eine kritische Quantität erreicht, nützt eine Antibiotika- Behandlung nichts mehr, da diese nur die Bakterien vernichtet, aber nicht das Toxin neutralisieren kann. Das Toxin führt rasch zum Tod. Wie viel Sporen eingeatmet werden müssen, dass die Infektion einen fatalen Verlauf nimmt, ist ungewiss. Man geht davon aus, dass Sporenwerte zwischen 2500 und 55 000 in 50 Prozent der Fälle letal sind.

Die Diagnose von Lungenmilzbrand ist sehr schwierig. Die ersten Symptome sind auch hier äusserst unspezifisch und erinnern an eine Grippe mit Kopfschmerzen, Husten, Schwäche und Übelkeit. Ganz plötzlich entsteht jedoch ein akutes Krankheitsbild mit hohem Fieber, oftmals Atemnot und Blutdruckabfall. Die Atemnot entsteht dabei nicht durch eine Lungenentzündung, wie fälschlicherweise oft vermutet wird, sondern durch die stark vergrösserten Lymphknoten, die die Luftröhre einengen. Der Name Milzbrand stammt von der Tatsache, dass bei verendeten Tieren auch die Milz als Teil des lymphatischen Systems vergrössert und schwarzrot verfärbt war. In der Hälfte der Fälle von Lungenmilzbrand kommt es ausserdem zu einer Hirnhautentzündung, was die richtige Diagnose zusätzlich verzögert. Dies war auch der Fall beim in Florida an Lungen-Anthrax verstorbenen Photographen. Der Lungenmilzbrand verläuft fast immer tödlich, da die Therapie in der Regel zu spät einsetzt.

 

  Ein Erreger – drei Krankheiten  

 

Alle drei Arten von Milzbrand können durch denselben Erreger hervorgerufen werden. Welches der drei Krankheitsbilder entsteht, hängt vom Weg ab, über den dieser in den Körper gelangt. Nicht alle Stämme von Anthrax-Bazillus sind jedoch gleich aggressiv. Mit speziellen Labortests (PCR-Methode) können die verschiedenen Stämme anhand eines Vergleichs mit den Experten bekannten Informationen über natürlich vorkommende Erreger identifiziert werden. Besonders gefürchtet sind gentechnisch veränderte Milzbrandkeime, da die gängigen Medikamente gegen sie möglicherweise nur schwach oder gar nicht wirksam sein könnten. Man nimmt an, dass in militärischen Labors an solchen Entwicklungen gearbeitet wird. Bis jetzt wurden in den Briefen der Terroristen jedoch keine derartigen gentechnisch veränderten Erreger gefunden. Zentral bei der Behandlung von allen Formen von Milzbrand ist eine rechtzeitige Erkennung der Exposition mit dem Erreger. Dann kann die Krankheit in der Regel erfolgreich mit einem geeigneten Antibiotikum therapiert werden. Bereits 1881 wurde auch eine Lebendvakzine für Tiere entwickelt, aber bis heute steht keine Impfung zur Verfügung, die erlauben würde, breite Bevölkerungsgruppen zu schützen.

Neue Zürcher Zeitung, 16. Oktober 2001

 

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